Rede auf der Hauptversammlung (31.03.2012)

Gestalten und opponieren!

Liebe Genossinnen und Genossen,

nachdem wir uns auf unserer letzten Tagung der Hauptversammlung mit den Wahlergebnissen befasst haben, stehen wir heute vor der Aufgabe die Leitlinien unserer Kommunalpolitik weiter zu bestimmen. Dazu zählt die kritische und selbstkritische Aufarbeitung unserer bisherigen Positionen ebenso wie die Auseinandersetzung mit den politischen Rahmenbedingungen im Land Berlin und im Bezirk.

Die Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung hat sich im Januar 2012 gemeinsam mit den Bezirksstadträtinnen Dagmar Pohle und Juliane Witt in einer ersten Klausurberatung mit der Arbeitsweise sowie organisatorischen und inhaltlichen Arbeitsschwerpunkten befasst.

Hier mussten wir feststellen, dass bei der Benennung unserer Bürgerdeputierten für die Fachausschüsse zu Beginn unserer Fraktionsarbeit organisatorische Schwächen auftraten und dass wir deshalb nicht alle Bewerber_innen als Mitstreiter_innen gewinnen konnten.

Die Fraktion hat zur Ausarbeitung ihrer inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte Fachgruppen gebildet in denen die jeweiligen Ausschussmitglieder, Bezirksstadträtinnen der Linken und die sachkundigen Bürger_innen zusammenarbeiten.

Wir arbeiten neben den Sitzungen unserer Fraktion in der Fachgruppe Kapital (also Haushalt, Personal und Verwaltung), in der Fachgruppe Zukunft-Werte-gutes Leben (also Jugend, Bildung, Sport, Weiterbildung und Kultur), der Fachgruppe Lebensweisen (also Gleichstellung, Integration, Menschen mit Behinderungen, Gesundheit, Soziales und Senior_innen) sowie der Fachgruppe Feuer-Wasser-Luft-Erde (also ökologische Stadtentwicklung, Umwelt, Natur, Verkehr, Siedlungsgebiete und Wirtschaft).

Die Fachgruppen tagen einmal, bei Bedarf zweimal im Monat und bereiten die Sitzungen der Fachausschüsse und der Bezirksverordnetenversammlung vor. Hier qualifizieren wir uns fachlich weiter, tauschen Erfahrungen aus und konnten bisher fachlich und politisch klug in den Gremien des Bezirkes agieren.

In einer weiteren gemeinsamen Klausurberatung mit dem Bezirksvorstand, den Abgeordneten im Abgeordnetenhaus, den Bezirksstadträtinnen und mit Petra Pau befassten wir uns deshalb folgerichtig mit der weiteren Qualifizierung unserer Arbeit, unserer Öffentlichkeitsarbeit und zur Zusammenarbeit der bezirklichen Gremien unserer Partei.

Hier haben wir uns in einer gemeinsamen politischen Erklärung dafür ausgesprochen, dass wir innerhalb und außerhalb der Parlamente auch weiterhin für ein Konzept für ein soziales Marzahn-Hellersdorf eintreten werden.

Liebe Genossinnen und Genossen,

das Programm unserer Partei hat den Anspruch die Lebenssituation der Bevölkerungsmehrheit zu verbessern, sichere und dauerhafte Arbeitsplätze zu Mindestlohnbedingungen zu schaffen, eine ökologische nachhaltige Wirtschaft zu entwickeln, Armut abzuschaffen, den Zugang zur Bildung für alle zu ermöglichen, Kriege zu verhindern und Diskriminierungen zu bekämpfen.

Die Herausforderung dieses Programms besteht darin, wie die Linke diesem Anspruch an Politik in der Gesellschaft und auf den verschiedenen politischen Ebenen gerecht werden kann.

Wir sind auf Bundesebene und nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus in der Stadt in der politischen Opposition. 

Wir können diese Zeit zur politischen Selbstfindung, zur Aufarbeitung falscher Weichenstellungen, zu unserem Umgang mit Bürgerinitiativen und Volksbegehren, zur Mietenentwicklung in der Stadt und zum Umgang mit dem Straßenausbaubeitragsgesetz und der Wasserproblematik nutzen.

Darüber hinaus müssen wir jedoch auch mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen zum Deutschen Bundestag eigene Akzente setzen und als Partei der sozialen Gerechtigkeit erlebbar werden.

Und wir haben darüber nachzudenken, wie wir in unserer alltäglichen Arbeit wirkungsvoll Bündnispartner gewinnen und für eine solidarische Gesellschaft werben können.

Dazu zählt unsere Öffentlichkeitsarbeit, die Kommunikation innerhalb unserer Parteiorganisation, die Nutzung der sogenannten "Netzpolitik"“, wie die regelmäßige Information der Bürger_innen vor Ort.

Während wir jetzt einen Bürger_innenbrief von Petra Pau und der Fraktion geschrieben und verteilt haben, Manuela Schmidt in ihrem Wahlkreis eine persönliche Karte an die Frau und den Mann brachte, haben Herr Czaja und Herr Gräff von der CDU schon drei Bürger_innenbriefe in den für sie relevanten Wahlkreisen in jeden Haushalt verschickt.

Obwohl wir bei der Kommunalwahl im September 2011 auch im Bezirk Verluste hinnehmen mussten, sind wir erneut zur stärksten politischen Kraft in der BVV geworden.

Trotz der bekannten Bildung der Zählgemeinschaft von SPD, CDU und Grüne sind mit Dagmar Pohle als stellvertretender Bezirksbürgermeisterin und Stadträtin für Gesundheit und Soziales sowie Juliane Witt als Stadträtin für Jugend, Weiterbildung und Kultur zwei Genossinnen im Bezirksamt vertreten.

Und wir befinden uns in einer ähnlichen Situation wie in den 90er Jahren, als wir erstmals in die Bezirksämter Marzahn und Hellersdorf einzogen. Wir sind im Land Berlin in der politischen Opposition und müssen zugleich im Bezirk Kommunalpolitik aktiv gestalten und linke Spuren hinderlassen.

Einige dieser Spuren sind deutlich im Stadtbild zu erkennen. Die Benennung von Plätzen oder Straßen nach Clara Zetkin, Kurt-Julius Goldstein, Otto Rosenberg und Fred Löwenberg wäre ohne die LINKEN im Bezirk nicht denkbar.

Andere Spuren sind in der sozialen und kulturellen Infrastruktur des Bezirkes sichtbar. Erst gestern feierten der Club 74 e.V. im von ihm betriebenen Stadtteilzentrum Kompass in Hellersdorf Süd und vor einigen Wochen der Verein Ball e.V. im Schloss Biesdorf den 20. Geburtstag.

Es waren und sind fleißige Mitarbeiter_innen, die diese Vereinsarbeit mit viel sozialem Engagement möglich machen. Und es sind Kommunalpolitiker_innen unserer Partei, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für deren so erfolgreichen Tätigkeiten geschaffen haben.

Mit dem Wahlergebnis haben uns die Wähler_innen erneut einen Gestaltungsauftrag für Marzahn-Hellersdorf übergeben. Und wir werden uns deshalb nicht von SPD, CDU und Grünen in die Ecke drängen lassen.

Obwohl wir viele gemeinsame Politikansätze mit den Piraten in der BVV haben, werden wir uns auch hier über ihre sozialen Ansätze und die Auffassungen zur bezirklichen Struktur als Konkurrenten auseinandersetzen.

Wir werden in Zusammenarbeit mit den Personalräten, den Gewerkschaften im Bezirk, mit Bürgerinitiativen, Sportvereinen und Kulturschaffenden für Mehrheitspositionen in der BVV ringen.

Um unseren politischen Positionen auch im Umgang mit den anderen politischen Parteien Gewicht zu verleihen, müssen wir uns vor Ort kümmern und die realen Lebensverhältnisse aufnehmen. Dazu gehören die Bürger_innensprechstunden von Petra Pau, die Sprechstunden in den Wahlkreisen der Abgeordneten, der Bezirksstadträtinnen, des Fraktionsvorsitzenden ebenso, wie öffentliche Anhörungen und Sitzungen der Fachgruppen und der Fraktion.

Unsere Fraktion hat gestern die anderen Fraktionen der BVV zu Gesprächen über die Fortführung des Bürger_innenhaushalts eingeladen. Der Bezirksbürgermeister Herr Komoß von der SPD möchte die bisherige Form des Bürger_innenhaushalts nicht fortsetzen, da ihm zu wenige Menschen daran beteiligt waren. 160 Vorschläge für das Haushaltsjahr 2012 fanden die SPD, CDU und Grünen nicht ausreichend. Jetzt wo es angeblich um neue Konzepte mit mehr Beteiligung für den Bürger_innenhaushalt gehen soll, stellen wir fest, dass weder die SPD, noch die CDU oder Grünen hier eigene Vorstellungen entwickelt haben.

Um unsere eigenen Vorstellungen weiter zu entwickeln, werden wir uns im April gemeinsam mit den Akteur_innen aus den Stadtteilzentren beraten und deren Erfahrungen und Vorstellungen in die Weiterführung des Konzeptes des Bürger_innenhaushaltes einbringen.

Als eine wichtige Folgerung aus den Ergebnissen der letzten Wahlen müssen wir unser Profil als Partei der sozialen Gerechtigkeit, für Transparenz und Bürger_innenbeteiligung weiter entwickeln.

Dazu gehört, sich stärker gesellschaftskritisch zu positionierten und die sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft sowie die daraus resultierenden sozialen Konflikte als Ergebnis kapitalistischer Gesellschaftsprozesse offen zu benennen.

Aus unserer Sicht gehört zur Würde des Menschen die Souveränität über das eigene Leben, die demokratische Mitbestimmung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die soziale Sicherung der Existenz.

Wir werden deshalb im Sinne unseres Kommunalwahlprogramms für die Weiterentwicklung der sozialen Stadtteilzentren, die Sicherung des Migrationsozialdienstes, die Umsetzung des bezirklichen Integrationsprogramms, für die bürgernahe Unterstützung von Bedürftigen und Leistungsempfänger_innen, die Sicherung der Familien- und Sexualberatung, für die Bekämpfung der Wohnungsnot und unsozialen Mietenpolitik, die Sicherung der bezirklichen Senior_innenarbeit sowie für die Gewährleistung des öffentlichen Gesundheitsdienstes einsetzen.

Wir stellen heute fest, dass obwohl wir in der Stadt noch die moderatesten Mieten haben, steigende Wohnkosten auch in unserem Bezirk das Armutsrisiko erhöhen, so dass wir verstärkt mit dem sozialen Problem der Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit konfrontiert werden.

Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf lagen so z.B. 6.805 Bedarfsgemeinschaften von Hartz IV Empfängern im Jahr 2011 über dem Richtwert der Ausführungsvorschrift Wohnen und 9.830 Menschen erhielten 2011 vom JobCenter die Aufforderung ihre Wohnkosten zu senken.
   
In meiner Sprechstunde meldeten sich jetzt schon 7 Familien bzw. einzelne Bewohner_innen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder schon obdachlos geworden sind. Mit Hilfe von Dagmar Pohle und ihren Ämtern konnte den Einzelnen bei der Verbesserung ihrer sozialen Situation geholfen werden. Von 84 Hilfeempfänger_innen ist inzwischen bekannt, dass sie 2011 wegen der zu hohen Mietkosten umziehen mussten. Aber das ist sicher nur die Spitze der bevorstehenden Situation auch auf unserem Wohnungsmarkt.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Das Land Berlin befindet sich seit Jahren in einer Finanznotlage. Die Überschuldung als Resultat der Bankenkrise eines CDU-SPD-Senates wirkt noch immer nach. Und der jetzige rot-schwarze Senat tritt dieser schon damals verfehlten Finanzpolitik bei.

Obwohl die Berliner Bezirke für die Haushaltsberatungen 2012 und 2013 einen Mehrbedarf von 110 Millionen Euro angemeldet haben, hat der Senat diese Mittel im Senatshaushalt nicht aufgenommen. Jetzt sollen die Abgeordneten von SPD und CDU in den Haushaltsberatungen im Land Berlin diese Mittel durch Streichung anderer Positionen finden. Das ist ein Skandal. Selbst bei Sarrazin gab es so etwas nicht.

Für unseren Haushalt sind fast 4 Millionen Euro eingeplant, die bisher noch nicht bereit stehen. Er ist trotz des Beschlusses der BVV eine Zitterpartie.

Der in der BVV beschlossene Haushalt ist in seinen Ansätzen noch vom alten Bezirksamt erarbeitet worden. Dabei stellte die LINKE die Bedingung, dass keine notwendigen Einrichtungen der sozio-kulturellen Infrastruktur geschlossen werden, ohne dass neue Standorte und Konzepte dabei verbunden werden.

Somit sind die Stadtteilzentren, die sozialen Dienste, der öffentliche Gesundheitsdienst, die bezirkliche Arbeit gegen Rechts, der Bürgerhaushalt, die Sportanlagen, Bildungsstandorte und die Jugendfreizeitstätten ausfinanziert.

Da wir feststellen mussten, dass der Kultur- und Weiterbildungsbereich und die Bibliotheken mit 20 Millionen Euro unterfinanziert sind, haben wir hier in der Haushaltsdiskussion in den Ausschüssen Nachbesserungen eingefordert. Wir nahmen politische Gespräche mit den anderen politischen Parteien auf und konnten so den Erhalt der Stadtteilbibliothek in Kaulsdorf Nord finanziell absichern und das Budget im Bereich Weiterbildung und Kultur aufstocken.

Wir haben klar erklärt, dass wir nur unter der Bedingung der notwendigen Ausstattungen auch in diesem Bereich dem Haushaltsansatz zustimmen werden.

Wegen der Diskussion um die Finanzierung anderer Haushaltsteile haben sich einige Verordnete der LINKEN dem Haushaltsplan enthalten und ein Verordneter stimmte dagegen. Das finde ich völlig in Ordnung, denn auch das öffentliche Grün, die Ausfinanzierung des bezirklichen Sinfonieorchesters und die Hilfe zur Erziehung haben ihre Berechtigung.

Wir werden jetzt die Haushaltsdurchführung kritisch und konstruktiv begleiten. Sofern die Koalition nicht die notwendigen 4 Millionen Euro Mehreinnahmen bereitstellt, werden wir weitere Kürzungen ablehnen und einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2012 einfordern.

Für das Jahr 2013 ist aus unserer Sicht schon jetzt ein Ergänzungsplan notwendig. Die Linksfraktion fordert zugleich eine vollständige Abfederung der Mehrausgaben für die Hilfe zur Erziehung für Familien in schwierigen sozialen Lebenssituationen.

Ein weiterer Stellenabbau in der Verwaltung ist für uns nicht hinnehmbar.

Wir bekennen uns zum Freizeitforum Marzahn, zur Galerie M, zum Kunsthaus Flora, zum TAP, zum Schloss Biesdorf, zur Kiste, zur Jugendkunstschule, zur Parkbühne in Biesdorf und zu unserem Tagungsort dem Kulturforum Hellersdorf. Die Kulturarbeit in den Bezirken ist aus unserer Sicht ein wichtiger Bestandteil gesamtstädtischer Kulturpolitik. Wir setzen uns dafür ein, dass Land und Bezirke verbindliche Standards für die kulturelle Infrastruktur vereinbaren.

Wir werden es der Zählgemeinschaft nicht durchgehen lassen, aus politischen Gründen fachliche Entscheidungen in Frage zu stellen.
Bei der Übertragung einer im Bau befindlichen Jugendfreizeiteinrichtung in Biesdorf Süd am Balzer Platz hat eine Jury aus Mitarbeiter_innen der Jugendverwaltung, des Sozialamtes und drei Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses dem Verein "Roter Baum" den Zuschlag gegeben.

Bei der Beschlussfassung über die Beschlussempfehlung des Bezirksamtes lehnten SPD, CDU und ein Teil der Grünen die Übertragung an den Verein der Jugendhilfe ab. Frau Köhnke von der SPD und Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses bemerkte: Jetzt wird politisch entschieden. Besonders brisant ist dabei, dass eine Verordnete der SPD selbst eine Bewerbung für die Einrichtung verfasst und rechtswidrig munter mitgestimmt hat.


Liebe Genossinnen und Genossen,

ihr seht, wir haben gemeinsam mit unseren Bezirksstadträtinnen die ersten Erfahrungen unter den politischen Rahmenbedingungen gesammelt.

Wir sind als Fraktion in einer guten Mischung von jungen Verordneten und erfahrenen Kommunalpolitiker_innen gut aufgestellt.

Wir haben noch nie die Sorge gehabt, zu Fragen der Stadtentwicklung oder soziokulturellen Infrastruktur keine eigenen Impulse in die BVV oder deren Fachausschüssen zu senden.

Und wir sind dank unserer engagierten Stadträtinnen Dagmar Pohle und Juliane Witt in den bezirklichen Medien und im Internet präsent.

Die Fraktion muss ihre Pressearbeit und Öffentlichkeitsarbeit weiter entwickeln, um in Richtung der Wahlen zum Deutschen Bundestag unsere Politikangebote bekannter zu machen.

Ich bitte Euch so wie in den Gesamtmitgliederversammlungen unsere Mandatsträger_innen und Verordneten in die Basisgruppenarbeit einzubeziehen, sie zu nutzen. Unsere Fachgruppen und die Sitzungen der Fraktion sind öffentlich und wir freuen uns über jede Anregung für unsere politische Arbeit.

Lasst uns nicht in erster Linie mit uns selbst beschäftigen, sondern offensiv für eine andere soziale Politik in unserem Land ringen!


Danke!